Klavierabend - Seelenbilder

Musik kann intime Bilder zeichnen, die anders als ausgestellte Objekte, in das Innere des Zuhörers dringen und neue Erfahrungswelten eröffnen. Der intime Rahmen eines Herbstklavierabends ist daher eine Möglichkeit, mit einem Publikum gemeinsam besondere Momente im Gedenken an das großartige Klavierrepertoire der Geschichte zu erleben.
Die späten Klaviersonaten von Beethoven zeichnen sich durch den Drang aus, mit musikalischen Strukturen Narrative zu erzählen, die über bloße plastische Strukturen hinausgehen, sondern den Wesenskern der Seele eines Menschen zu beschreiben. Genau diese Eigenschaft verbindet sie mit den Balladen von Frederic Chopin. Als Ballade bezeichnet, erwartet man eine erzählerische Darstellung von spannenden Geschichten – das Endprodukt zeichnet aber das Bild einer menschlichen Seele, die Leidenschaft, Sehnsucht, Freude und Trauer in sich vereint. Die Kombination dieser Werke führt durch den Abend hinweg also zu einer Darstellung verschiedener Seelenbilder, die sich darin vereinen, dass im Zentrum ihrer menschlichen Streben, Drängen, Bitten, Flehen, Scheitern und Finden steht.
Beide Hälften verbinden Chopin und Beethoven zu einem Gesamtwerk, indem die Werke aneinandergereiht gespielt werden. In der ersten Hälfte steht die junge, drängende, leidenschaftliche Seele im Vordergrund, die in Chopin einer Pubertät gleich von verschiedenen Stimmungsschwankungen getragen wird. In Beethovens 31. Klaviersonate ist es eben jene durch den Prozess gemäßigte Seele, die im Widerstreben des letzten Satzes nach Erlösung betet und sie, durch höhere Gnade findet. In der zweiten Hälfte steht die zweifelnde Seele, die in abgrundtiefer Trauer Trost finden möchte, und doch am Ende in den Abgrund stürzt. Beethovens letzte Klaviersonate lässt diesen Menschen aus jenem im ersten Satz geschilderten Abgrund aufstehen und in einer der spirituellsten Musiken der Geschichte einen schlichten und ewigen Frieden finden.
Beide Komponisten gehörten zum Kernrepertoire Maurizio Pollinis, der im Frühjahr 2024 verstarb. Als großer Pianist hat er Generationen geprägt, weshalb ich dieses Konzert seinem Gedenken widme in Ehrfurcht jener Kunst, der er sein Leben gewidmet hat.